Laudatio zum IBB-Preis für Photographie, 2012
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Jurymitglieder,
sehr geehrte Vertreter des Freundeskreises der Universität der Künste- Karl Hofer
Gesellschaft,
liebe Preisträgerinnen,
es ist mir eine große Ehre und Freude, heute hier vor Ihnen die Laudatio auf die Künstlerin Dana Engfer zu halten, die mit dem diesjährigen IBB-Preis für Photographie 2012 ausgezeichnet wird – als besondere Anerkennung Ihrer künstlerischen Vielfalt.
Bereits bei der ersten Begegnung mit Dana Engfer war ich berührt von der Tiefe und dem Witz ihres künstlerischen Schaffens und davon möchte ich Ihnen nun in den folgenden Minuten erzählen.
Wie ich selbst ist Dana Engfer in Stuttgart geboren, sie kam 1981 auf die Welt. Darüber hinaus verbindet uns nicht nur der jetzige Wohn- und Lebensort Berlin, sondern auch unser Interesse für die Fotografie. Bei meinem Besuch in ihrem Atelier war ich beeindruckt, wie reflektiert sie über ihr Leben nachdenkt und dafür die passenden künstlerischen Ausdrucksformen findet.
Dana Engfer fasziniert durch ihre künstlerische Vielfalt. Herkommend von der Malerei und Zeichnung, hat Dana Engfer auch das Medium der Fotografie für sich entdeckt. Videos, künstlerische Buchobjekte, Fundstücke, Sammlungen und Archivieren von Objekten, Gedichte und kurze Texte unterstützen die Aussagen ihrer immer auch humorvollen Arbeiten.
Die Jury fühlte sich angezogen , von ihrer oft kreativen Unbefangenheit, durch ihr einfallsreiches Spiel mit Sinn und Hintersinn, von ihren phantasievollen teils sehr persönlichen Arbeiten.
Für die Künstlerin ist Fotografie ein Medium gegen das Vergessen und Verschwinden. Erinnerungen werden visuell sichtbar. Und damit sind zentrale Themen Dana Engfers verbunden, nämlich (ich zitiere): „Spurensicherung und die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, die ich in unterschiedlichen Medien (…) aufgreife. Dabei verbinden sich Erinnerung und Fiktion mit Dokumentarischem und lassen neue rätselhafte Bildwelten
entstehen, die nur fragmentiert vermittelbar sind.“
Ihre erste fotografische Arbeit entsteht 2005/2006 während ihres Studienaufenthaltes in Paris.“Paris Benutzerausweis“ ist der Titel.
Die Arbeit besteht aus 12 S/W Fotografien, aufgenommen an verschiedenen, zum Teil inszenierten Orten von Paris. Schrift und Format der Fotografien, auch format cinema genannt, stammen aus Paris. Die grafische Darstellung ist sehr bewusst von ihr gewählt.
Das Ganze ist eine Entdeckungsreise incognito. Sie schlüpft in unterschiedliche Rollen, getarnt als verwegener, nicht zu übersehender und doch ganz unscheinbarer roter Punkt. Sie ist der Wassertropfen am Ende eines Wasserstrahls, das Auge einer Wildkatze, der Wurm im Schnabel eines Vogels, oder die Milbe im zerwühlten Bett. Diese Arbeit zeugt von einer Originalität und Experimentierfreudigkeit wie man sie von Sophie Calle kennt.
Bei der Entstehung dieser Arbeit wurde sie von dem Künstler und Professor Christian Boltanski begleitet, den wir beide sehr schätzen.
Besonders für seine Beschäftigung und künstlerische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von individueller Vergangenheit und sozialem Gedächtnis.
Dana Engfer hat sich ihre Lehrmeister und Lehr Meisterinnen ausgesucht und gefunden, die ihre Stärken verstanden haben und sie hat dabei ihren ganz eigenen Weg entwickelt.
Von Anfang ihres Studiums an der Universität der Künste 2001 bis zu ihrem Abschluss als Meisterschülerin 2007 war ihr Lehrmeister Prof. Henning Kürschner. Ihm verdankt sie viel, wie sie sagt. Die große französische Künstlerin Annette Messager und ihr Ehemann und Künstler Christian Boltanski gehören sicher ebenfalls zu den wichtigen Inspiratoren auf ihrem Weg als Künstlerin.
Von 2005 bis 2006 studierte sie an der Ecole des Beaux-Arts in Paris bei Boltanski. Davor (2003) war die Malerin, Zeichnerin und Fotografin als Gaststudentin an der Iceland Academy of the Arts Reykjavik.
Zahlreiche Stipendien ermöglichten ihr zusätzliche Auslandsaufenthalte, so ein European Art Project in Amsterdam (2009) und eine Förderung 2011 als artist in residence in Montevettolini, Italien, vergeben von der Marti-Clerici–Stiftung.
Australien und Wien kommen hinzu und zeigen, dass Dana Engfer an vielen Orten gelebt und gearbeitet hat. Und Berlin: 2010 erhielt sie das zweijährige Atelierstipendium des UdK-Freundeskreises und der Karl Hofer Gesellschaft.
Karl Hofer, die prägende Persönlichkeit und Gründungsrektor der Hochschule für Bildende Künste, Vorgängerinstitution der UdK und Namensgeber der Karl Hofer Gesellschaft, wurde 1878, also 103 Jahre vor Dana Engfer geboren. Mit 31 Jahren, dem jetzigen Alter von Dana hatte er bereits 3x Paris, Rom, Wien und Neapel bereist, im Jahre 1910 fuhr er nach Indien. Viele Reisen folgten und jedes Mal lernte er wichtige Künstler kennen, die sein Schaffen
beeinflussten. Wenn man so will, sind alle Arbeiten Dana Engfers Entdeckungsreisen, z.B. in die Vergangenheit, die eigene Herkunft und die von Anverwandten, in unbekannte Länder, Reisen auf Schildkrötenrücken, oder auf der menschlichen Haut sowie als roter Punkt durch Paris.
Die Preisträgerin ist eine Entdeckungsreisende, die das Unsichere in der Welt spürt und diese Herausforderung künstlerisch umsetzt.
Für Inspirationen sucht sie immer wieder neue Orte auf. Ein Beispiel hierfür ist die hinreißende Arbeit „Wanted Dana Muckova“. Auch hier fällt eine Geistesverwandtschaft mit Sophie Calle auf , an ihre erste Kunstaktion von 1979, für die sie fremden Menschen folgte.
Bei Dana Engfer ist der Fall natürlich etwas anders gelagert. Ein wieder entdeckter Liebesbrief ist Auslöser für diese Reise nach Bratislava, Slovakei. Und ihr Name: Es ist die Jugendliebe ihres Vaters, deren Namen sie trägt: Dana Engfer – Dana Muckova. Das Suchen und Finden, die Erfahrungen in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht spricht, führt sie zu vielfältigen Materialien, die es ihr ermöglichen, unterschiedliche Ebenen
der Geschichte aufzuzeigen. Ohne Worte, mit einer Flöte, entdeckt sie den Weg zu dieser Frau, wie einst ihr Vater als Mitglied der Trossinger Bläserbuben nach Bratislava kam. Die Fahrt in ein unbekanntes Land und das Herantasten an eine bisher unbekannte Person sind auf sehr beeindruckende Weise in einem Video festgehalten. In dieser Arbeit (Wanted) verschränkt Dana Engfer biografische und fiktionale Begebenheiten. Sie verwischt die Grenzen zwischen Kunst und Leben, Fiktion und Realität, zwischen privat und öffentlich. „Wanted Dana Muckova“ umfasst neben der Videoarbeit auch Fotografien, die persönliche und gefundene Objekte abbilden, sie dienen nicht als interpretationsbedürftige Quellen, sondern sind images stimuli, deren Inszenierung mögliche Assoziationen beim Betrachter provoziert.
Die Vielfalt des Schaffens wird auch in der Arbeit „Dor“ sichtbar, zugehörig zu dem Projekt Wiese und Zelt. „Die Haut als Leinwand“ : Dana Engfer zeigt ein Objekt ihrer Körperzeichnungen im Großformat. Sie gehört mit ihren Zeichnungen, gestochen von dem Tätowierer Lionel Fahy, zu einer neuen Generation, mit einerseits grafischen Darstellungen aber auch anarchischen Experimenten wie wilde Schraffuren und Verletzungen. Ich verstehe bei dieser Arbeit den Körper als Metapher existentieller Brüche und Unsicherheiten, die zugleich beide Seiten meinen: das Verletzen und Verletzt-Sein sowie
auch die Sicherheit des Nicht Verschwindens der Verlässlichkeit. Um noch einen Aspekt der künstlerischen Vielfalt Dana Engfers aufzugreifen, möchte ich auf die Bücher hinweisen, die in den letzten Jahren entstanden sind. 5 ihrer humorvollen und persönlichen Buchprojekte sind hier zu sehen. Die in Antiquariaten gekauften, von ihr als „Reisetagebücher“ verstandenen Bücher versah sie mit Referenzen zu den Aufenthaltsorten ihrer Fahrten.
Mit dem Themenstrang des Reisens schließt sich in gewissem Sinne der Kreis meiner Betrachtungen über die junge Künstlerin. Es scheint der Satz für Dana Engfer zuzutreffen: Kunst erweitert den Horizont. Die Jury befand Dana Engfer auch in diesem Sinne als eine besonders würdige Preisträgerin.
Liebe Dana Engfer, Sie vermitteln uns, dass es sich bei zeitgenössischer Kunst um einen Erfahrungsraum handelt und ich möchte Ihnen im Namen der Jury meinen Glückwunsch aussprechen. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass dieser Preis und Ihr künstlerisches Können es Ihnen ermöglichen, von Ihrem Talent Ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – und damit noch viele weitere inspirierende Kunstwerke für uns zu erschaffen.
So viel kann ich verraten: es gibt bereits ein neues Projekt : auf den Spuren ihres Großvaters will sie mit der Transsibirischen Eisenbahn bis nach Novosibirsk , dem Ort, wo er nach dem 2. Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft war.
Wir dürfen gespannt sein, wie sie diese Reise künstlerisch umsetzt.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.